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Wandel in Farbe - Die Mero-Halle im Spreepark

Blaue Stunde im Spreepark - Zur Veranstaltung am 29.04.2022 in der Mero-Halle

Lennart Laberenz

Berlin, Plänterwald: Am schon vorgerückten Freitagnachmittag übernehmen Vögel und sanftes Rauschen der Wipfel, die Geräusche der Stadt treten zurück. Mit Ausflugsschiffen zieht gelegentlich Musik von der Spree vorbei, Wind mildert die Schläge vom Heizkraftwerk gegenüber, weiter hinten singen Teenager Freitagabendfreude gegen Bäume. Die Grundfarbe ringsum, kann man feststellen, ist Frühlingsgrün.

Der Spreeparkt ist eine Ruine, seit über zwei Jahrzehnten schon, in der Brise wiegen sich ausgetriebene Büsche, zwischen Gestrüpp schimmern Wasserstraßen, Wege sind überwuchert. Ruinen kann man als Zeichen einer noch nicht ganz verwehten Vergangenheit lesen. Aber sie greifen auch in eine Zukunft, dort liegen ihre Möglichkeiten: eine semantische Umdeutung, ein Umgang mit ihnen, eine ästhetische Neusortierung. So etwas schlagen zwei Arbeiten für den Spreepark Art Space jetzt vor.

Die Text- und Bildkünstlerin Sabine Scho und Jan Kampshoff, der mit Marc Günnewig das Duo modulorbeat bildet, eröffnen das Spreepark Art Space Programm, indem sie auf die wuchernde Natur, die Ruinen des Vergnügungsparks und die Geschichte des Ortes zurückgreifen. Also müssen wir zumindest kurz noch einmal in die Erinnerungsmaschine der Parkanlage einsteigen: Man kann im lesenswerten Überblick „Geschichte des Spreeparks“ (von Dora Busch, Monica Geyler-von Bernus, Birgit Kahl) blättern, darin erfahren wir von Spreebegradigung, wachsender Industrie, Ausbau zum Freizeitpark im 20. Jahrhundert. Zum zwanzigsten Jahrestag der DDR eröffnete dann der Volkseigene Betrieb Kulturpark Berlin, als Kulti und einziger ständiger Rummelplatz im Land.

Wenn Ruinen nicht einer Zukunft entgegenblicken können, die schon in der Gegenwart beginnt, zerfallen sie endgültig, gehen in Landschaft über. Allein das ließe sich als Palimpsest verstehen, als Überlagerung und Überschreibung eines Textes. Damit sind wir wieder zurück am vorgerückten Freitagnachmittag, bei Scho und Kampshoff, bei der Frühlingssonne, die noch nicht die Kraft des Sommers hat: Bald sammeln sich die Eröffnungsgäste unter blauem Gestänge, zwischen noch schüchtern bewachsenen Beeten.

Denn wo im Kulti einmal ein Spezialitätenrestaurant stand, hat Jan Kampshoff eine skulpturale Dimension freigelegt: Stützen, Riegel und Streben der früheren Unterkonstruktion für das einst aufliegende Dach. Er hat restaurieren oder ersetzen lassen, was nötig war, übrig bleibt eine schwebende Konstruktion, heute einmal von Nylongewebe unterteilt, über den Tag hinaus möbliert mit weiten Sitzbänken. Wir sehen also plötzlich den ästhetischen Überschuss eines Raumfachwerks aus dem Würzburger Mero-Baukastensystem, das ab 1969 das Dach über rechteckigem Grund hielt. Die Bodenplatte zeichnet in der Mitte alte Küchen- und Sanitärbereiche nach, an den Ecken konnten Gäste mit freiem Blick auf den Park speisen, es gab sozialistische Küche aus vier Regionen.

Das Gestänge - der Mero-Bausatz kam in den Spreepark, weil es mit der Fertigstellung knapp wurde, ohne großes Federlesen wurden Planer*innen aus Westberlin hinzugezogen – glänzt wie die langgestreckten Bänke jetzt in frischem Enzianblau. Kampshoff erklärt den Bezug zur blauen Stunde, der noch halbwach erlebten Zeit nach dem Sonnenuntergang, wenn die Welt ihre Eckigkeit zu verlieren scheint, alles Garstige abschüttelt. Oder einen Rest der Träume in die Morgendämmerung verlängert. Solche Übergänge, Kampshoff spricht von Transformationsmomenten, sind Assoziationen zur frischen Kolorierung, die Kunstgeschichte kennt Blau auch als „Farbe der Ferne“: Mit der Entwicklung perspektivischer Malerei wurde es zur Markierung von Distanz, später der Sehnsucht. Für den Abend haben sie Licht herbeigeschafft, die blaue Stunde soll verstärkt werden und später in einer Klanginstallation vergehen – im Alltag bleibt die Konstruktion als wandelbarer Raum und langsam zuwachsende Skulptur.

Und während ringsum nun tatsächlich der Abend blaut, können wir unter dem Gestänge nun der Lyrikerin, Autorin, Fotografin Sabine Scho zuhören. Sie hat in ihrer Residenzzeit im Spreepark den Gedanken des Überschreibens weiterentwickelt. Fünf Fahnen hat sie dafür an der Mero-Skulptur aufgehängt, fünf weitere hinten bei der ausgedienten Achterbahn Spreeblitz.

Ihre Banner erinnern an das Prinzip der Benennung, der Orts- und Zugehörigkeitsbestimmung, ihre Motive hat sie aus dem Park selbst geschöpft. Es sind Fotografien, größtenteils in Farbumkehr gedruckt, in denen, wer will, eine Codierung lesen soll: Die Fahnen begleiten die Rückholdynamik der Natur gegen den manikürten Park, sie flankieren, was Botaniker Ruderalvegetation nennen – Pflanzen, die manufactured landscapes, übernehmen, wenn der Mensch der Landschaft den Rücken kehrt. Scho erzählt von der Zwergwasserlinse, der steifborstigen Armleuchteralge, seit 2018 gilt sie nur noch als „gefährdet“, das war schon einmal schlimmer. Auf dem Gelände geht es beiden gut.

Motivisch gehen Herbstblätter in die überdimensionierte Kakaotasse eines Karussells über, wieder ein Bezug zur Geschichte von Vergnügung: Als Disneyland nach Europa expandierte, ging ein französischer Motivpark ein. Die Fahrgeschäfte aus Frankreich wurden ins Nachwendeberlin eingekauft und sollten den Neustart ermöglichen. Geblieben sind von ihnen Umrisse, zerfallende Konstruktionen, Farbreste, Rost. Auf den Fahnen von Scho strecken sich ihnen Ranken entgegen, ein Greifvogel wacht vor einer ins Absurde getauchten Farbexplosion. Als Scho mit ihrer Lesung beginnt – Texte zu Farbspielen, Motive der Vergangenheit, Assoziationen –, erhebt sich aus der Stadt ein Helikopter, zieht betont langsam seine Bahn, als wolle er genau zuhören.

Während es dann dunkler wird, das Bersarin-Quartett – bemerkenswerterweise zu zweit – sanfte Klänge zum Abend anschlägt, kann einem auffallen, dass beide, Scho und Kampshoff, ganz minimale Eingriffe gewählt haben. Begleitende Maßnahmen, die darauf achten, das langsame Überwuchern des Parks mit semantischer Zweckfreiheit sacht zu begleiten. Die Überschreibung hat in sich eine offene Dynamik, sie kann in nächsten Projekten verwendet, weitergeführt werden. Aber sie soll die Auswilderung nicht stören.

Programm

Wandel in Farbe, Mero-Halle im Spreepark Berlin

Freitag, 29. April 2022, 18 bis 22 Uhr

Ein ehemaliges Restaurant wird Blau und zur begehbaren Skulptur, die mit Klang, Licht und Wort den Wandel zelebriert. In zwei performativen Formaten stand der Vergnügungswert der Spreeparkfarben - die Flora, Fauna und die gebauten Strukturen - im Mittelpunkt.

18:42 Uhr – Flags, flora, fauna and fairground rides – Ruderalfarben und Rummelfarben

Lecture Performance und Installation von Sabine Scho (Fotografierende Autorin, Berlin) mit Matthias Holtmann (Künstler und Neurobiologe, Berlin)

20:32 Uhr – Blaue Stunde

Installation mit 8-Kanal Sound- und Lichtperformance von modulorbeat (Künstler- und Architektenkollektiv, Berlin/Münster) mit Bersarin Quartett (Soundkünstler, Münster)

Begrüßung und Künstlergespräche als Zwischenspiele moderiert durch Katja Aßmann, Künstlerische Leitung Spreepark Art Space

Foto/Film: Frank Sperling
Text: Lennart Laberenz